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Sven Voelpel

25. Juli 2018

Ey, Alter!

Wenn Alt und Jung ihre unterschiedlichen Fähigkeiten in ein Unternehmen einbringen, steigt die Produktivität. Um das richtig umzusetzen, sind allerdings auch die Führungskräfte gefordert

In den meisten Sportarten haben es die Jüngeren leichter. Ohne großes Training zieht der 20-jährige Läufer an einem 60-jährigen vorbei. Als Segler spart sich Hendrik Brandis diesen Frust. „Beim Segeln braucht man einen erfahrenen Steuermann für die richtige Taktik. Aber vorn, wo körperlicher Einsatz gefragt ist, sind die Jungen im Vorteil“,erklärt der 54-jährige Wagniskapitalgeber. Die Erfahrung, dass Jung und Alt zusammen die besten Ergebnisse abliefern können, hat er auch auf sein Unternehmen Earlybird übertragen, das Start-ups in der Frühphase finanziert. „Junge Leute trauen sich mehr ins Risiko, wir brauchen sie, weil sie uns antreiben. Aber andererseits können wir Älteren besser erste Anzeichen erkennen, wenn etwas schief läuft – denn wir haben schon Krisen gesehen, sie nicht“, beschreibt Brandis die Dynamik in seinem Team.

Aber was, wenn der Junge vorne den Alten hinten nicht mehr versteht, weil der eine völlig andere Sprache spricht?
Natürlich gab es schon immer Unterschiede zwischen Generationen – aber die jungen Menschen, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommen, überraschen alle Generationen vor ihnen. Personalchefs sind perplex, weil die üblichen Gehaltspakete mit dem imposanten Dienstwagen plötzlich nicht mehr ziehen. Erfahrene Mitarbeiter fühlen sich durch das Verhalten der neuen Kollegen nicht respektiert, sie kritisieren deren ständiges Smartphone-Gedaddel und das forsche Auftreten. Und gleichzeitig schwingt bei all dem Gerede über Digitalisierung bei den Älteren die Angst mit, von den Jungen abgehängt zu werden.

Es geht dabei um viel mehr als nur die Befindlichkeit Einzelner. Wenn die Mitarbeiter nicht zusammenarbeiten, leidet die Produktivität. „Unternehmen sind nur dann wirklich erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, die unterschiedlichen Fähigkeiten der verschiedenen Generationen richtig einzusetzen“, sagt Sven Voelpel. Der Wirtschaftsprofessor, Buchautor und Berater hat sich intensiv mit dem Thema Alter im wirtschaftlichen Kontext beschäftigt.
Großkonzerne wie die Autohersteller Daimler und BMW oder der Software-Anbieter SAP lassen sich inzwischen einiges einfallen, um zwischen Jung und Alt Brücken zu bauen: Bei BMW zogen sich junge Mitarbeiter sogenannte Altersanzüge an,die simulierten, wie sich alte Knochen anfühlen. Mercedes startete vor drei Jahren eine groß angelegte Demografie-Initiative, Führungskräfte wurden geschult, die Ausstellung „Ey, Alter“ soll Verständnis zwischen Generationen schaffen. Sie ist so erfolgreich,dass sie seither durch Deutschland tourt – im Moment ist sie im Berliner Gasometer zu sehen.

„Bei uns arbeiten fünf Generationen –und alle sind für uns gleichermaßen wichtig“, sagt Tanja Kaufmann. Sie betreut in der SAP-Personalabteilung das Thema Vielfalt. „In den vergangenen fünf Jahren lag der Fokus stark auf der Förderung junger Talente“, sagt Kaufmann. Das hat für Verunsicherung bei den Älteren gesorgt. Wie stark die Mitarbeiter das Generationenthema umtreibt, hat Kaufmann gemerkt, als die Personalabteilung eine Veranstaltung mit dem Thema „Generations Rock“ anbot: Sie rechneten mit einer Handvoll, doch es meldeten sich weit mehr als hundert Mitarbeiter an, schnell musste ein größerer Raum gefunden werden.

Danach wurde ein Mentoring-Programm gestartet, das Jung und Alt paarweise zusammenbringt. Andreas Hoffmann, 51, und Annika Bold, 26, sind eines dieser Paare. Als Diskussionsanstoß haben die beiden von SAP eine Liste mit den typischen Vorurteilen bekommen, die den verschiedenen Generationen nachgesagt werden. „Da hat sich vieles als Mythos heraus-gestellt“, sagen die beiden unisono. „Ich habe festgestellt, dass die Jungen nicht immer einen Schritt voraus sind“, sagt der 51-Jährige und klingt ein wenig beruhigt. Aber Unterschiede stellten die beiden dennoch fest. Ein Beispiel: Während Andreas Hoffmann seine Dokumente in Ordnern ablegt, versieht Annika Bold ihre Dokumente mit Schlagwörtern und ruft sie später über die Suchfunktion auf. „Die Methoden sind unterschiedlich, aber da gibt’s kein besser oder schlechter“, sagen sie. Manches übernimmt die Jüngere vom Älteren, zum Beispiel das strikte Zeitmanagement. Bei anderen Dingen bleibt jeder bei seinem Stil: Hoffmann klebt weiterhin jede Kamera auf dem Laptop oder Rechner zu, Bold ist weiterhin in sozialen Medien unterwegs. Auch wenn die Jüngere weiterhin lieber flugs E-Mails schreibt und der Ältere weiterhin lieber zum Telefon greift („Ich rede massiv schneller, als ich tippen kann“) – es geht nicht darum, sich anzugleichen, sondern ums Verständnis.

Über Monate hinweg treffen sich Bold und Hoffmann immer wieder zum Mittagessen, auch nach Ende des offiziellen Programms. Sie weiten ihre Themen aus, sprechen mitunter auch darüber, warum die ältere Generation, die den Kalten Krieg erlebt hat, mit Informationen vorsichtiger umgeht als die jüngere.„Mir ist klar geworden, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt“, sagt Bold.

Programme wie das von SAP gibt es in-zwischen in vielen großen Unternehmen, stellt Elke Eller fest. Sie ist nicht nur Personalvorständin des Reisekonzerns Tui, sondern im Ehrenamt auch Präsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager. „Es ist wichtig, das Erfahrungswissen der Älteren mit den digitalen Fähigkeiten der Jungen zu verbinden“, sagt sie. Reverse Mentoring, wie es die Fachwelt nennt, ist dazu ein erprobtes Mittel. „Allerdings stellt das die gewohnten Hierarchien auf den Kopf“, so Eller. „Denn plötzlich lernt auch der Meister vom Lehrling. “Das schaffe Unsicherheit, auf die Führungskräfte sensibel reagieren müssten. Viel stärker als früher müssten Chefs und Chefinnen deswegen mit ihren Mitarbeitern ins Gespräch kommen, sich auf Diskussionen einlassen, mit Argumenten überzeugen. Den Mitarbeitern wiederum müsse klar sein, dass lebenslanges Lernen heute nicht mehr nur die Kür sei, sondern Pflicht.
Unternehmen sollten den Erfahrungsschatz der Älteren gezielt einsetzen.

Unternehmen sollten den Erfahrungsschatz der Älteren gezielt einsetzen

Glaubt man Altersforscher Voelpel, so lohnt sich die Beschäftigung mit dem Alter für Unternehmen. „Alles beginnt mit einer Veränderung der Einstellung: Alter ist kein Nachteil.“ Wenn Unternehmen ihren älteren Mitarbeitern genauso viel Wertschätzung entgegenbringen wie den Jungen, würden diese deutlich bessere Leistung abliefern. Es gehe also nicht darum ein langsameres Fließband für die älteren Mitarbeiter zu bauen, sondern die Aufgaben so zu gestalten, dass die Älteren ihr Erfahrungswissen einbringen können.
Doch ein Zugewinn an Produktivität ist nicht alles. Voelpel hält das Zusammenspiel von Jung und Alt im digitalen Zeitalter sogar für unerlässlich. „Junge Menschen sind kreativer, man braucht sie als Triebkraft für neue Ideen. Aber man braucht genauso das Erfahrungswissen der Älteren, die einschätzen können, welche dieser Ideen sich verwirklichen lassen, und die das Netzwer khaben, diese auch tatsächlich umzusetzen“, sagt der Wirtschaftsprofessor der Jacobs University Bremen.
Ob das funktioniert, kann er bald selbst unter Beweis stellen: Gemeinsam mit einem 31-Jährigen hat er ein Start-up gegründet: Sharemac will den Einsatz von Baumaschinen völlig neu definieren. Die Gründer haben schon mehr als zehn Millionen Euro eingesammelt, in wenigen Tagen soll die Plattform starten.

[Süddeutsche Zeitung, Juli 2018]

 

 

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