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28. Dezember 2016

Die deutsche Autoindustrie auf Abwegen

Wie eine deutsche Schlüsselindustrie den Paradigmenwandel ignoriert

Das Phänomen des Paradigmenwandels, also einer Phase, in der sich grundlegende Dinge deutlich verändern, so dass es einschneidende Veränderungen für bestimmte Bereiche der Gesellschaft zur Folge hat, wird in vielen Fällen retrospektiv erst richtig wahrgenommen. Manchmal lassen sich aber schon sehr früh erste Anzeichen erkennen und dennoch werden diese vielfach ignoriert.

 

Immer wieder und allgegenwärtig

Beispiele für einen Paradigmenwandel im Umfeld der Wirtschaft waren etwa die Uhrenindustrie, bei der die Schweizer Unternehmen ihre eigene Erfindung, den Quartzantrieb, verschlafen haben oder auch der Aufstieg der erneuerbaren Energien, die den großen Energieerzeugern, wie RWE, EON & Co., aktuell das Geschäft vermiesen und jetzt mittels Lobbying bekämpft werden.

Aktuell können wir ein solches Phänomen bei der Autoindustrie sehr nahe und direkt beobachten und die Verantwortlichen innerhalb der deutschen Branchenriesen scheinen, nach wie vor, den Ernst der Lage nicht einmal annähernd zu begreifen.

Das Thema war in den vergangenen Wochen immer wieder mehr oder weniger in den Medien präsent. Spätestens seit dem Diesel-Gate Betrugsskandal von Volkswagen, welcher durch die US-amerikanischen Umweltbehörden ins Rollen gebracht wurde, wird die Frage nach der Zukunft der deutschen Autoindustrie zwar klarer und deutlicher geführt, jedoch werden die wichtigen Themen offenbar nicht konsequent angepackt. Mittlerweile sind auch andere Hersteller involviert und sogar das traditionsreiche und stets auf Korrektheit bedachte Unternehmen Bosch steht, als Lieferant der Motorsteuerungen, im Fadenkreuz der US-Behörden.

Der laufende Wandel ist nicht neu!

Mein erster Job nach der Zeit meiner Promotion führte mich in den Daimler-Konzern, wo ich eine Expertenausbildung zum Kaizen-Trainer und Lean-Experten durchlaufen durfte. Zum Geist des Kaizens gehört bekanntermaßen auch, dass man sich selbst und sein Handeln stets hinterfragt. Dies tat ich unter anderem dadurch, dass ich schon 2007 und 2008 Themen, wie Elektromobilität, als wichtigen Aspekt für die Zukunft eines Automobilunternehmens ins Gespräch brachte. Ich vertrat die Ansicht, dass ein Unternehmen, wie Daimler, traditionell Vorreiter bei Innovationen im Automobilsektor, in puncto Elektromobilität und Vernetzung aktiv werden müsse. Meine Ideen wurden jedoch keineswegs ernst genommen, ja sogar belächelt. Die Ausreden waren damals schon die gleichen wie heute, nämlich dass Elektromobilität nicht die Reichweite hätte, die Batterien teuer und zu schwer und die Infrastruktur nicht vorhanden sei. Außerdem sei das doch eher ein Thema für “Öko-Spinner” und Elektroautos seien eben keine richtigen Autos.

Ignoranz und Überheblichkeit – nach wie vor

Der Spruch mit dem Öko-Spinner ist in weiten Teilen verstummt, seitdem Tesla bewiesen hat, dass Elektroautos cool und sexy sein können. Der Rest ist aber geblieben. Nach dem Auffliegen des VW-Betrugs hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Martin Winterkorn, sein Amt zwar niedergelegt, aber sein Nachfolger trägt den gleichen Geist in sich. Matthias Müller, ehemaliger Porsche-Chef und Vertrauter Winterkorns, übernahm das Ruder und bezeichnete das autonome Fahren noch im Jahr 2015 als einen “Hype”, der bald wieder vorbei sei. Beim Diesel-Gate-Skandal flüchtete er sich in einem Radiointerview während der Detroit-Auto-Show 2016 in Relativierungen, indem er wider besseren Wissens erneut behauptete, Volkswagen hätte nicht gelogen. Und wie seit Anfang November bekannt ist, denkt Volkswagen gar nicht daran, Kunden in Europa zu entschädigen, da in Europa keine Vorschriften verletzt worden seien und außerdem wird die gesundheitsschädliche Wirkung von NOx bezweifelt.

Auch die anderen deutschen Automobilunternehmen sind sehr groß, wenn es darum geht, Ankündigungen zu verbreiten, was sie alles vorhaben. Deutliche Taten fehlen. Stattdessen werden aktuell Milliardenbeträge für die Neuentwicklungen der nächsten Generation von Verbrennungsmotoren eingeplant.

BMW dürfte der einzige deutsche PKW-Hersteller sein, der es wenigstens ansatzweise ernst genommen hat und wenigstens ein echtes Elektroauto im Programm hat. Schaut man sich aber den Preis und die Vermarktungsstrategie an, so gewinnt man den Eindruck, dass BMW den i3 gar nicht verkaufen möchte. Der Preis ist für ein so kleines Fahrzeug mit so geringer Reichweite ist mit 40.000 bis 50.000 Euro, je nach Ausstattung, sehr hoch. Für nur 20.000 Euro mehr bekommt man bei Tesla bereits einen vollwertigen 4-Türer mit über 300 Kilometer Reichweite, Schnellladenetz inklusive. Und sowohl Nissan als auch Renault bieten Autos ähnlicher Größe für einen weit besseren Preis und größerer Reichweite an. Und so ist es kein Zufall, dass das gesamte i-Entwicklerteam von BMW vom chinesischen Start-Up Future Mobility abgeworben wurde, bei dem unter anderem der iPhone-Produzent Foxcon beteiligt ist. Die Elektromobilität erscheint eine Alibi-Veranstaltung zu sein. Stattdessen schaut man lieber auf die alte und leider immer noch gewinnbringende Technik.

 

Die Autoindustrie – Das Wohl deutscher Arbeitsplätze?

Das Erstaunliche an der Sache ist, dass sowohl die deutschen Automanager mit ihrem Lobbyverband VDA als auch die deutsche Politik alles tun, um die Arbeitsplätze in Deutschland endgültig zunichte zu machen, obwohl sie das Gegenteil davon behaupten. Klare Maßnahmen, der Ignoranz der vergangenen Jahre deutlich entgegenzusteuern, fehlen auf der ganzen Linie.

  • Fahrverbote für dreckige Diesel werden nicht ausgesprochen.
  • Das Kraftfahrtbundesamt handelt im Kontext von Diesel-Gate und Betrugsskandal gar nicht oder nur zögerlich.
  • Behörden bekommen nach wie vor nicht das Durchgriffsrecht, Straßentests unter Realbedingungen durchzuführen, die auch Bestandteil des Zulassungsverfahrens sein müssen.
  • Zwingende Neuregelungen auf EU-Ebene, wonach Verbrauchs- und Emissionswerte so ausgewiesen werden müssen, dass sie der Realität zumindest annähernd entsprechen, werden von den deutschen Vertretern blockiert. Gleiches gilt für eine dringend notwendige Verschärfung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen.
  • Die Idee, ab 2025 keine Verbrenner mehr zuzulassen, so wie es z.B. Norwegen schon beschlossen hat, ist wieder vom Tisch.
  • Von einem längst überfälligen Tempolimit will man in Deutschland noch immer nichts wissen.

Die Versprechungen, die man aus Wolfsburg, Ingolstadt, Stuttgart und München vernehmen kann, sind bisher nur Ankündigungen. Auf Fachmessen werden Studien und Modelle gezeigt, aber keine real bestellbaren Produkte. Die Konkurrenz hat da schon deutlich mehr zu bieten. Das was Wettbewerber wie Tesla, Nissan, Renault und andere heute schon können, soll bei den deutschen Herstellern frühestens 2018 bis 2020 verfügbar sein. Die Ladeinfrastruktur hat Tesla bereits heute schon flächendeckend.

Glaubt man in den Manager-Etagen in Deutschland wirklich, dass die Wettbewerber bis 2018 oder 2020 nichts mehr tun werden und warten, dass die deutschen Hersteller hinterher kommen? Die Naivität, mit der man das Thema trotz der aktuell eindeutig erkennbaren Lage betrachtet, ist extrem besorgniserregend. Der deutsche Markt ist weltweit fast unbedeutend und die bewahrenden Handlungen von VDA, Auto-Managern und Teilen der Politik ist nutzlos, denn die Veränderungen passieren schon und werden weitergehen – mit oder ohne die deutsche Mitwirkung.

Es ist aber noch schlimmer

Viele reden in Europa im Kontext von Elektromobilität von Tesla, Renault und bestenfalls Nissan. In China gibt es neben dem oben genannten Start-Up Future Mobility den Batteriehersteller “Build Your Dreams”, kurz BYD, der ebenfalls seit einigen Jahren Elektroautos baut. Der indische Hersteller Tata ist auch auf diesem Gebiet sehr aktiv. Diese Hersteller sind in Europa bisher nicht sichtbar und damit kaum im Fokus, in den Schlüsselmärkten in Ost-Asien jedoch extrem präsent. Toyota und Hyundai sind bei der Brennstoffzelle führend und Tesla ist längst kein Automobilhersteller, sondern ein Mobilitätsdienstleister mit angeschlossener Stromerzeugung und Batterieherstellung.

Das, was man aktuell erleben kann, ist ein extremer Paradigmenwandel, eine Disruption der Autoindustrie, wie sie deutlicher und sichtbarer kaum sein kann. Diese disruptiven Effekte hat es in der Autoindustrie immer wieder gegeben und gerade die Kultur des Silicon Valleys hat diese Veränderungsbereitschaft immer wieder im Fokus gehabt und gefördert – mit allen Vor- und Nachteilen. Unternehmen müssen lernen, mit disruptiven Effekten umzugehen und diese, auch auf die Gefahr hin, dass es eine Fehleinschätzung ist, zu erkennen und zu gestalten. Automobilhersteller der Autoindustrie können es sich nicht leisten, reine Produkthersteller von Fahrzeugen zu sein, so wie sie es in den vergangenen Jahrzehnten waren. Sie müssen vernetzt und in Dienstleistungen denken und auch tatsächlich handeln. Das Automobil als Statussymbol und die Individualmobilität spielen eine immer geringere Rolle.

Man gewinnt unweigerlich den Eindruck, dass die deutschen Automobilhersteller und ihr Lobbyverband VDA alles tun, um ihre veraltete Technik noch möglichst lange am Leben zu erhalten, weil man sich damit bestens auskennt und noch Geld damit verdient. Gleichzeitig mehren sich die zweifelnden Stimmen gegen diese Vorgehensweise. Diese Stimmen kommen dabei nicht nur von Umweltverbänden, sondern sogar mittlerweile von der IG Metall, die eine deutliche Abkehr von Benzin- und Diesel-Autos fordert.

 

Immer sind andere Schuld

Beim Aufdecken des Betrugsskandals von Volkswagen haben viele den US-Behörden Protektionismus vorgeworfen. Auch wenn diese Annahmen zwar möglich, jedoch unwahrscheinlich sind, so ist es doch Volkswagen, die die Evidenz geliefert haben. Die in China diskutierte Quote für Elektroautos einschließlich Emissionszertifikate würde die deutschen Hersteller auf dem chinesischen Markt stark benachteiligen. Auch dieses Vorgehen wird seitens deutscher Vertreter massiv kritisiert und als Protektionismus interpretiert. Diese Einwände sind mehr als ungerechtfertigt, selbst wenn protektionistische Absichten dahinterstecken sollten. Es ist immer leicht, Andere für die eigenen Versäumnisse verantwortlich zu machen, es hilft aber nichts. Man muss stattdessen das eigene Verfehlen erkennen und daraus lernen, in der Hoffnung, dass es noch rechtzeitig ist.

In der FAZ konnte man lesen, dass der VW-Personalchef Karlheinz Blessing von fünfstelligen Jobverlusten durch die Elektromobilität ausgeht. Das kann durchaus passieren und es könnten noch mehr sein, denn große Teile der Zulieferindustrie werden bei der Elektromobilität in der heutigen Form nicht mehr gebraucht. Sollte es dazu wirklich kommen, liegt das nicht an der “bösen“ Elektromobilität. Es liegt am Versagen der verantwortlichen Manager der Autoindustrie, die von heute und die der vergangenen Jahre. Sie hätten die Warnungen hören und sehen und neue Wege beschreiten können, haben dies aber komplett ignoriert, weil ihre Anreizsysteme disruptive Ansätze und Vorgehensweisen nicht belohnt hätten. Es sind eben Manager, keine Unternehmer. Und nun könnte es zu spät sein.

 

Für mehr Informationen zum Thema Autoindustrie und zu Dr. Mario Buchinger klicken Sie hier: http://www.trainers-excellence.de/redner/mario-buchinger.html

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