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Gabriele Lönne

18. Oktober 2017

Speedy Gonzales

Zappelphilipp lernt zu bremsen.
Protokoll eines Coachings.

Pedro ist 19 Jahre alt. Er absolviert eine Ausbildung zum Automobilkaufmann in einem großen Autohaus. Vor ein paar Tagen hat ihm die Chefin den Rausschmiss angedroht, sollte er nicht innerhalb von vier Wochen sein Verhalten ändern. Seine Eltern sagen, er ecke bei allen an: bei seinen Ausbildern, bei Kollegen, Kunden … Vor zehn Jahren hatte der Kinderarzt bei ihm ADHS diagnostiziert und ihn auf Methylphenidat eingestellt. Als Pedro vor einem Jahr volljährig wurde, lehnte dieser Arzt jede weitere Behandlung ab. Danach fiel Pedro, wie die Eltern im Vorgespräch berichten, seelisch in ein tiefes Loch. Er wurde zusehends unruhig, unkonzentriert und aggressiv. Vor vier Wochen fand die Familie auf Empfehlung des Hausarztes einen Psychiater, der erwachsene ADHS-Patienten behandelt. Pedro bekommt wieder Methylphenidat und ist seitdem etwas ruhiger geworden. Doch offenbar nicht ruhig genug, denn es droht der Verlust seines Ausbildungsplatzes. Nun sitzt der junge Mann bei mir im Coaching. Ein sympathischer, etwas zappeliger, Kaugummi kauender Typ mit Käp pi und freundlichem Grinsen im Gesicht. Er hat es sich auf dem Besuchersessel sehr bequem gemacht und schaut mich – liegend fast – erwartungsvoll aus dunklen Glutaugen an.

Coach: Na, wie geht’s dir? Öh, oh, Entschuldigung Ihnen?
Klient cool: Das Du ist schon okay. Er grinst, dreht sein Käppi in einem Schwung nach hinten, zuckt mit den Schultern und nickt: Jo, ich bin okay.
Coach: Okay, was machen wir denn jetzt mal? Deine Eltern haben mir letzte Woche etwas von Stress erzählt – Stichwort Ausbildung. Wie siehst du das?
Klient dreht sein Käppi nach vorn: Ach, die machen mir immer so’n Stress!
Coach: Wer genau? Klient: Alle!
Coach: Wer ist denn alle?
Das Käppi dreht wieder nach hinten: Herr Müller.
Coach: Wer noch? Klient kaut heftig auf seinem Kaugummi: Frau Meyer, die dumme Kuh! Sein Käppi wandert nach vorn. Coach: Oh, sie ist schwarz-weiß, hat vier Beine und sagt „Muh“?
Klient stockt: Öh, nee! Er schüttelt entsetzt den Kopf und kann nicht darüber lachen.
Coach: Und wer sind denn nun Herr Müller und Frau Meyer?

Klient: Ausbilder und Chefin.
Coach: Okay, und die machen dir Stress? Wann denn?
Klient: Wenn ich was vergessen hab’, oder mit Kunden telefoniert hab’. Und wie der Schreibtisch aussieht. Ach, alles! Das Käppi dreht eine ganze Runde.
Coach: Was gehört denn noch zu „alles“?
Klient setzt sich auf: Ich werd’ schnell nervös. Außerdem fang’ ich bei Druck an zu stottern. Ach, und ich bin irgendwie zu laut.
Sein Gesicht ist flammendrot. Das Käppi hat zwei Runden hinter sich.
Coach: Okay, was meinst du, sollen wir den Stress jetzt mal etwas sortieren?
Klient kaut auf seinem Kaugummi und lugt zweifelnd unter dem Schirm seines Käppis hervor.
Coach: Ach, übrigens, wusstest du schon, dass Kaugummikauen vom Denken ablenkt?
Klient bekommt runde Augen, setzt sich auf.
Coach: Die Zungenbewegung beim Kauen passt nicht zu den Wörtern, die du in Gedanken denkst. Das heißt, wenn du einen Text liest und dabei gleichzeitig kaust, kostet das Konzentration und Erinnerungsvermögen.
Klient wirkt überrascht und hilflos.
Coach: Du möchtest jetzt wahrscheinlich dein Kaugummi loswerden? Hier hast du ein Taschentuch. Da ist der Abfalleimer. Das Kaugummi verschwindet. Das Käppi macht wieder eine ganze Runde.
Coach: Ein heißer Tipp für dich. Nimm Kaugummis am besten erst gar nicht mit in den Betrieb. Das stört ja sowieso beim Telefonieren, oder? Du hast doch so eine schöne Stimme. Das wäre sehr schade, wenn die Leute sie nicht richtig hören könnten!
Klient strahlt und nickt.
Coach: Wo wir gerade übers Telefonieren reden – magst du gerne mit Kunden telefonieren?
Klient nickt wieder. Käppi macht eine halbe Drehung.
Coach: Und die Kunden, was sagen die?
Klient: Manchem bin ich zu schnell und dann werd’ ich nervös wenn mich keiner mehr versteht.
Er zappelt mit den Beinen.
Coach: Hej, es gibt da einen Trick, wie du Energie rausnehmen kannst … mach mir mal nach … Ich drehe meine Hände langsam um das Handgelenk: Und jetzt du!
Klient schaut ratlos auf seine Hände. Die Beine stehen still. Das Käppi verdeckt jetzt fast sein Gesicht.
Coach: Hilfe, ich kann dich ja gar nicht mehr sehen! Magst du dein super Käppi einen Moment abnehmen?
Klient zieht das Käppi vom Kopf und legt es zögernd auf den Schreibtisch. Er wirkt verunsichert.
Coach: Klasse, danke! Und jetzt schau noch mal zu mir. Ich lasse meine Hände wieder kreisen.
Klient versuchst es nachzuahmen. Erst langsamer, dann immer schneller. Er freut sich und strahlt den Coach an: Cool!
Coach: Achtung! Gleichmäßig kreisen lassen. Und schööön laaangsaaaaam! Beim nächsten Telefonat mit einem Kunden lässt du eine Hand kreisen, das nimmt Geschwindigkeit und Energie aus deiner Stimme. Aus deinem ganzen Körper. Okay?
Klient nickt!
Coach: Und bevor du den Hörer überhaupt abnimmst, atmest du einmal tief durch und zählst bis drei.
Klient nickt wieder!
Coach: Gibt es etwas, das du richtig gut findest, und das die Ruhe weg hat?
Klient nickt spontan: Meine Wasserschildkröte! Die bewegt sich so gut wie nie. Liegt immer ganz cool rum.
Coach nimmt ein Handy und fängt an zu wählen: Pass auf, wenn jetzt dein Handy schellt, atmest du tief durch, zählst langsam bis drei und holst dir in Gedanken das Bild deiner coolen Wasserschildkröte vor Augen. BEVOR du auf Empfang gehst! Das Handy schellt. Der Klient atmet tief, konzentriert sich. Seine Augen gehen nach links oben, dann nimmt er ab.
Coach: Klasse! Am besten, du übst das zu Hause mit deinem Handy. Dann klappt’s im Job noch mal so gut. – Und wie war das noch?
Du stotterst auch manchmal? Am Telefon?
Klient wird rot und schüttelt den Kopf.
Coach: Wann denn?
Klient windet sich: Bei Herrn Müller.
Coach: Immer?
Klient nickt bedrückt.
Coach: Bei Frau Meyer auch?
Klient nickt wieder.
Coach: Und sonst?
Klient schüttelt den Kopf.
Coach: Das sind deine beiden Chefs, richtig?
Klient nickt.
Coach: Okay, stell dir jetzt mal Herrn Müller vor. Wie er auf dich zukommt, um dir etwas zu sagen.
Klient weicht mit dem Körper zurück, zeigt Stresssymptome.
Coach: Sag mal, wenn ich hier so aus dem Fenster schaue, sehe ich draußen einen roten Flitzer stehen. Ist das Deiner?
Klient entspannt sich und grinst: Ja, zum Führerschein gekriegt!
Coach: Klasse. Mit anderen Worten, du düst hier so richtig durch die Gegend?
Klient grinst noch breiter und nickt.
Coach: Also musst du auch sicher öfter mal ordentlich bremsen? Coach tritt zur Unterstreichung seiner Worte auf eine imaginäre Bremse.
Klient: Jo!
Coach: Wow, dann habe ich eine Idee! Jedes Mal, wenn Herr Müller auf dich zukommt, trittst du unterm Schreibtisch auf die Bremse – genauso wie in dem roten Flitzer. Probier mal! Klient ist verblüfft und schaut auf seine Füße.
Coach: Achtung, Kopf hoch, da kommt Herr Müller! Und jetzt bremsen, feste bremsen, noch mehr bremsen.
Klient bremst und wirkt dabei konzentriert, fast nachdenklich.
Coach: Sehr gut! Du kannst die Bremse wieder lösen. Herr Müller ist weg. Was ist passiert, als du gerade gebremst hast?
Klient: Alles wird langsamer, ist nicht mehr so hektisch, nicht so stressig.
Coach: Klasse, probieren wir das noch mal? Und du sagst jetzt etwas zu Herrn Müller, so in dem Stil „Ja, das erledige ich sofort“ oder ähnlich. Achtung: Herr Müller kommt auf dich zu, du bremst und sagst etwas.
Klient bremst mit seinem rechten Fuß: Ja, Herr Müller, das erledige ich sofort! Und schaut den Coach dann verblüfft an.
Coach: Na, wie sieht’s aus?
Klient ungläubig: Ich glaub’s nicht, irgendwie ganz anders, cooler, ohne Stress!
Coach: Du hast ja jetzt auch eine eingebaute Bremse für schnelle Bilder und heiß gelaufene Emotionen. Üb das immer wieder, dann werden Begegnungen mit Leuten, die für dich wichtig sind, viel normaler. Und sein Sprechen bleibt auch normal! Wie war das noch, du vergisst auch immer wieder zu erledigende Aufträge?
Klient zerknirscht: Ja, alle wollen sie was von mir, und, ach, dann vergess’ ich so viel.
Coach greift ins Regal und holt einen Tischkalender heraus: Sieh mal, den möchte ich dir gerne schenken. Mein Tipp: Der Kalender liegt aufgeschlagen auf deinem Schreibtisch. Jedes Mal, wenn einer auf dich zukommt und dir eine Anweisung gibt, schreibst du sofort mit – unter dem Datum und der Uhrzeit des entsprechenden Tages. Und wenn dann an derselben Stelle schon etwas oder sehr viel eingetragen ist, zeigst du sofort drauf und fragst ihn, was du denn zuerst erledigen sollst. So kommst du nicht so schnell unter Druck, alles gleichzeitig erledigen zu wollen und dabei alles gleichzeitig wieder zu vergessen.
Das Gesicht des Klienten hellt sich auf: Jo. Er nimmt den Kalender und legt ihn andächtig zu dem Käppi.
Coach: Spielst du eigentlich Fußball?
Klient nickt: Ich bin Torwart bei uns im Verein.
Coach: Aha, dann wollen immer alle etwas von dir? Beziehungsweise an dir vorbei?
Klient stolz: Ja, aber ich pass’ auf! Da geht kaum einer rein in mein Tor!
Coach: Okay, wie wär’s denn, wenn du deinen Schreibtisch auch als so eine Art Tor betrachten würdest? Und du bist der Torwart, der sein Tor immer schön „sauber“ hält?
Klient irritiert, runzelt die Stirn: Irgendwie komisch …
Coach: Mach’s mal! Augen zu. Und jetzt stell’ dir vor, du stehst im Tor. Deine Leute können sich auf dich verlassen. Ein klasse Gefühl für alle. Fühl mal in dich selbst hinein. Du siehst vielleicht ein Bild oder mehrere Bilder. Vielleicht in Farbe. Vielleicht hörst du auch in diesem Augenblick etwas Tolles oder hast gerade einen bestimmten Geschmack auf der Zunge … Klient lässt locker und zeigt mehr und mehr Kongruenz. Er fängt an zu lächeln. Ich berühre blitzschnell den Handwurzelknochen seines linken Zeigefingers und ankere das gute Gefühl.
Coach: So, Pedro, nun mach’ die Augen mal wieder auf. Du darfst dich gerne mal so richtig genüsslich räkeln. Wie lang fährst du eigentlich gleich nach Hause?
Klient leicht erstaunt: Öh, so ungefähr 40 Minuten. Warum?
Coach: Ach, nur so aus Interesse. Ich gebe dem gesetzten Anker auf der Hand einen kleinen Impuls. Pedro fängt wieder an ganz breit zu lächeln und schaut auf seine Hand.
Coach: Klasse, nicht wahr? Du hast jetzt einen „Toranker“, den du jederzeit, egal wo du bist, einsetzen kannst wenn „alle“ wieder etwas von dir wollen. Klient schaut etwas versonnen und nachdenklich. Er ist im Laufe des Coachings mehr und mehr heruntergefahren und wirkt viel gelassener.
Coach: Ich habe von deinem Vater gehört, Ihr fahrt zusammen in Urlaub? Klient nickt und sagt fast andächtig: Ja, zum Champions League Endspiel nach London. Wir haben gestern die Karten bekommen.
Coach: Wow, super! Das wird bestimmt toll! Nimm dir die schönsten Augenblicke mit zurück. Mach einfach die Augen zu, wenn du dich gerade so richtig freust, und halte das, was du siehst und hörst, gedanklich in allen Einzelheiten fest. Drück dann klammheimlich deinen „Toranker“ und genieß das klasse Gefühl, das sich in dir ausbreitet. Damit schaffst du dir ein unvergängliches Andenken an euer Abenteuer Champions League in London und ein kostbares Supergefühl für den Alltag danach! Viel Vergnügen! Beinahe hätte er dann doch tatsächlich noch sein Käppi vergessen.

Gabriele Lönne

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