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Sven-Voelpel RGB

Prof. Dr. Sven Voelpel

23. Oktober 2017

„Wer sich nicht fordert, altert schneller“

 

Die Vorstellung, dass Alter mit geistigem Abbau und körperlichem Verfall einhergeht, muss überwunden werden, fordert der Wissenschaftler Sven Voelpel. Und zwar von jedem Einzelnen selbst wie auch von Unternehmen.

In Ihrem Bestseller Entscheide selbst, wie alt du bist, behaupten Sie zu wissen, „wovon es ab­hängt, ob wir verbittert und krank werden oder glücklich und fit bleiben“. Sie sind 43 Jahre jung und Professor für Betriebswirtschaft an der Ja­cobs University in Bremen. Was macht Sie zum Experten für glückliches Altern?

Neben Betriebswirtschaft habe ich Psychologie und Soziologie studiert. Meine Expertise beruht aber da­rauf, dass ich seit 2004 am Center on Lifelong Learning an der Jacobs University in Bremen lehre und forsche und schon als Jungspund mit führenden Alterns­forschern zu tun hatte. So wurde aus mei­nem ursprünglichen Interesse für Wis­sensmanagement ein Interesse an Weisheitsforschung, ein Fach­gebiet, in dem meine frühe­re Dekanin Ursula Stau­dinger führend war. Mein Job in ihrem interdiszip­linären Team war, die For­schung in die Praxis, das heißt in Organisationen zu bringen. Das tue ich noch heute.

Sie haben zusammen mit großen Unternehmen das „WDN – WISE Demografie Netzwerk“ gegrün­det, um demografiebedingte Personalprobleme zu lösen. Außerdem beraten Sie Konzerne wie Daimler Benz, die Deutsche Bank, die Deutsche Bahn und andere. Was raten Sie Ihren Kunden?

Meine Kunden sind zugleich Forschungspartner. Wir forschen bei und mit ihnen und setzen Erkenntnis­se um. Aber zu Ihrer Frage: Die Defizithypothese, also der Mythos, dass Alter mit geistigem Abbau und körperlichem Verfall einhergeht, muss überwunden werden. Es gibt da ein Verkehrsschild, auf dem ge­bückte Menschen an einem Stock die Straße über­queren. Das entspricht schlicht und einfach nicht der Realität oder nur, wenn Menschen in die labile Pha­se des Alters eintreten. Und auch früher stimmte das Bild oft nicht: Wenn Goethe sich mit 65 zur Ruhe gesetzt hätte – oder auch Picasso –, wäre die Welt um wertvolle Kulturgüter ärmer: Faust II zum Beispiel oder Dichtung und Wahrheit würden ebenso fehlen wie Die Frauen von Algier oder Der junge Maler.

Wir lesen von steigenden Demenzzahlen, hören von Altersarmut und Altersdepression. Was kön­nen wir gegen unsere Fokussierung auf die Defi­Defi­zite des Alters tun?

Welche Defizite? Schauen Sie sich die Studien an, die ich in meinem Buch zitiere. Auch von den über 90-Jährigen sind noch zwei Drittel geistig gesund und fit! Indem wir neugierig bleiben und unser Gehirn fordern, können wir dem kognitiven Abbau vorbeu­gen. Ältere Menschen sind glücklicher als Zwanzig­jährige, sie behalten ihre kristalline Intelligenz und kompensieren Verluste im fluiden Intelligenzbereich. 85-Jährige lernen fechten, 90-Jährige laufen Mara­thon. Alles ist möglich. Umdenken ist nötig. Die For­scher im Silicon Valley arbeiten an der Unsterblich­keit. Aber egal, ob sie Erfolg haben: Das Wissen um die Möglichkeiten und eigene positive Erfahrungen sind die beiden Schlüssel für glückliches Altern.

Das konnten Sie auch in Ihren Studien belegen?

Aus unseren Forschungen haben wir gelernt, dass positives Priming, also die Steuerung des Denkens durch einen äußeren Reiz, die Fähigkeiten und Leis­tungen von Menschen in wenigen Minuten um 400 Prozent steigern kann. Einer Gruppe älterer Arbeit­nehmer gaben wir positive Botschaften wie „Ältere können Zusammenhänge besser erkennen und sind weiser“. Eine zweite Gruppe wurde negativ geprimt mit Aussagen wie: „Ältere sind vergesslicher, gebrech­licher, weniger flexibel.“ Als beide Teams im Brain­storming nachhaltige Lösungen für Umweltschutz­probleme finden sollten, verdoppelte sich die Ideen­zahl bei der positiv geprimten Gruppe; bei denen, die Negativbotschaften gehört hatten, sank der Ide­Ide­en-Output um die Hälfte.

Für wen ist die Botschaft Ihres Buches gedacht?

Sie richtet sich an Menschen jeden Alters. Genauso wie die interaktive Ausstellung „Ey Alter“ (www.eyal ter.com/de), die erst in Bremen, jetzt in Stuttgart bei Daimler zu sehen ist. Wer all die neuen Informationen aufnimmt, wird sehr neugierig auf die späteren Le­bensjahre  Die Menschen haben ein großes Bedürfnis nach positiven Botschaften. Viele von ihnen müssen jedoch eine große Hürde nehmen, die in ihnen selbst und ihren Überzeugungen besteht.

Welche Auswirkungen hat das im Firmenalltag?

Daimler wollte zum Beispiel Produktionslinien für Ältere einführen, sogenannte „Silver Lines“, da habe ich gesagt: „Ihr wollt also, dass eure Leute abbauen?“ Dasselbe habe ich der Deutschen Post gesagt, als sie E-Bikes für ihre Postboten kaufen wollte. Bei Daimler werden die Produktionslinien nun besser auf das Po­tenzial der Leute, die daran arbeiten, abgestimmt. Da können 40-Jährige langsamer sein als 60-Jährige. Mit Alter hat das nicht viel zu tun. Viel aber mit der Ein­stellung. Aus Finnland stammt eine Studie, die zeigt, dass allein die Haltung von Führungskräften entschei­det, ob ältere Mitarbeiter produktiv sind oder nicht. Wenn man an sie glaubt, sind sie es. Diese positive Einstellung müssen Unternehmen für sich nutzen.

Der Anspruch, auch im Alter jugendlich im Den­ken und körperlich fit zu sein, kann manche Men­schen überfordern. Wie verhindert man, dass die schönen Bilder vom Alter zu Zwangsjacken wer­den?

Garantien für gesundes und aktives Altern gibt es nicht. Wir können aber die Bedingungen dafür sta­tistisch verbessern, indem wir maßvoll essen, nicht rauchen, wenig trinken. Informationen zum Thema „gesund leben“ gibt es überreichlich. Eine dänische Studie zeigt, dass die Gene nur zu 30 Prozent mitbe­stimmen, wie wir altern. Den Rest tun wir dazu. Aber es gibt Bedingungen und Unglücksfälle, die wir nicht beeinflussen können. Darum gibt es im Alter eine große Vielfalt an Lebensentwürfen – alles andere wä­re ja auch langweilig.

Worin liegen die besonderen Herausforderungen für Frauen?

Frauen sind tendenziell diejenigen, die Angehörige pflegen. Das liegt einerseits an ihrer sozial konstru­ierten Rolle, andererseits an Heiratsalter und Lebens­erwartung. Weil sie oft jünger sind als ihre Männer und sie häufig überleben, haben Frauen manchmal zuerst die eigenen Eltern, dann womöglich Schwie­germütter und –väter und schließlich den eigenen Mann gepflegt. Und um sie selbst kümmert sich dann im Krankheitsfall die Tochter oder Schwiegertochter im Krankheitsfall die Tochter oder Schwiegertochter. Wenn eine Frau von dieser Situation mit Recht über­fordert ist, hilft Lösungsorientierung – genau wie in Unternehmen. Das heißt, man setzt sich mit allen Beteiligten zusammen und klärt, was zu tun ist. Die Lösung kann nicht sein, dass alle Arbeit an einer Person hängenbleibt, also muss man umverteilen, eine funktionierende Lösung für alle finden. Kom­munikation ist hier ein erster Schritt. Einstellungs­änderung ein weiterer.

Sie meinen die Einstellung, dass Pflege Frauen­sache ist?

Nicht nur. Wer die Herausforderungen des Lebens als Aufgabe und Möglichkeit für persönliches Wachs­tum sieht, spart Energie und ist zufriedener. Henning Scherf, der ehemalige Bremer Bürgermeister, sagte kürzlich in einem gemeinsamen Interview, er habe sich weiterentwickelt, als Mitglieder seiner Alten-WG erkrankt und gestorben seien. Er sei dankbar für die Erfahrung und dafür, die Mitbewohner in dieser Pha­se begleitet zu haben. Er lebe nun noch intensiver und bewusster.

Halten wir Ihre wichtigste These fest: „Alter ist Kopfsache.“ Was heißt das konkret?

Wir können die Uhren nicht zurückdrehen. Aber wir können uns fordern, unsere Möglichkeiten ausschöp­fen und Negativsuggestionen meiden. Clemens Tesch-Römer vom Deutschen Zentrum für Altersfra­gen (DZA) hält das Selbstbild für ebenso wichtig für das Alter wie Ernährung und Bewegung. Das bestä­tigt der Neurobiologe Hans Martin Korte, der bei Altersoptimisten eine höhere Leistungsfähigkeit fest­gestellt hat.

Ist der Zusammenhang vielleicht umgekehrt – wer im Alter noch vergleichsweise fit und leis­tungsfähig ist, sieht die Welt positiver?

Unsere Priming-Experimente sagen etwas anderes. Und denken Sie auch an die Forschung, die Laura L. Carstensen aus Stanford zu ihrer sozio-emotionalen Selektivitätstheorie führte: Ältere Menschen be­schränken sich angesichts ihres kürzeren Zeithori­zonts stärker auf ihr emotionales Wohlbefinden und auf positive Kontakte. Darüber hinaus achten sie mehr auf positive Ereignisse, und sie neigen dazu, sich an gute Erlebnisse zu erinnern. Mit dem Bewusstsein für die Begrenztheit unserer Lebenszeit wächst also die Fähigkeit, sich auf das zu konzentrieren, was Freu­de macht.

Das klingt sehr weise.

Ja, und es korreliert mit einer Machtverschiebung von der rechten zur linken Hirnhälfte. Da die linke Hälfte für die Verarbeitung positiver Emotionen ei­ne größere Rolle spielt, besteht also die Chance, dass wir allein schon deshalb zufriedener werden, weil wir älter werden.

Zufriedenheit ist gut. Ihrer Meinung nach genügt es aber nicht, nach der Rente zufrieden in Mallor­ca am Strand zu liegen. Warum dürfen Menschen ihren Ruhestand nicht einfach genießen?

Lassen Sie mich mit einem Beispiel antworten: Die Mitarbeiter eines Forschungspartners sagten vor der Pensionierung einhellig, sie wollten auf keinen Fall nach der Rente weiterarbeiten. Doch schon kurze Zeit nach der Rente war ihnen langweilig, sie fühlten, dass sie kognitiv und körperlich nachließen. Nun wollten alle zurück in die Arbeit. Schließlich hat die Hälfte von Ihnen eine Teilzeittätigkeit aufgenommen. Und das ist gut so. Wer sich nicht mehr fordert, altert schneller.

Sie haben aufgrund der Studien, die Sie in Ihrem Buch zusammengetragen haben, zehn Gebote für ein glückliches Alter formuliert. Welches Ge­bot ist am wichtigsten?

Alle haben ihre Berechtigung. Das erste Gebot, „Geht nicht, gibt’s nicht!“, ermutigt uns zum Beispiel, auch im Alter Neues zu probieren. Man ist auch mit 75 nicht zu alt, um Klavierstunden zu nehmen oder ei­ne neue Fremdsprache zu lernen. Wichtig ist auch das vierte Gebot: Neugierig bleiben! Das Gehirn bil­det bis ins hohe Alter neue Synapsen, wenn es sie braucht. Komplexe Aufgaben wie der Besuch einer unbekannten Stadt, ehrenamtliches Engagement für Menschen aus einem anderen Kulturkreis fordern nicht nur das Gehirn, sie helfen auch, neue Kontak­te zu knüpfen. Ein gutes soziales Netz hält ja ebenfalls jung – das ist Gebot Nummer sechs. Außerdem brau­chen wir eine neue Arbeitskultur: Wir sollten Tä­tigsein mit 70 nicht als soziale Ungeheuerlichkeit, sondern als Chance begreifen. Jeder sollte auf indi­viduell passende Weise aktiv sein, statt sich nach Wo­chen voller Sonntage zu langweilen. Gebot neun legt uns schließlich nahe, rechtzeitig, vielleicht schon mit  mit 40 oder 50 darüber nachzudenken, wie wir mit 80 leben und wohnen möchte.

Am Ende Ihres Buches schreiben Sie: „Alter ist Leben pur – mit mehr Zeit, mehr Möglichkeiten mehr Herausforderungen. Die müssen wir anneh­men, wenn wir nicht wollen, dass andere für uns entscheiden.“ Ist das ein guter Schluss für unser Gespräch?

Ja, unbedingt. Lassen Sie mich nur noch eines sagen: Ich würde am liebsten eine Kampagne starten nach dem Motto „Alt ist geil“ oder vielleicht etwas weni­ger provokant „Alt ist weise“ oder so. Dazu dann Fotos von Prominenten wie Didi Hallervorden, Tho­mas Gottschalk, Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Es soll ruhig kontrovers zugehen. Wir brau­chen die Auseinandersetzung, um neue, positivere Bilder zu entwerfen.

Prof. Dr. Sven Voelpel

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